Vom Glauben an den Weihnachtsmann

Ich brauche nur die Augen schließen, dann kann ich ihn sehen. Mit seinem weißen Bart und dem strubbeligen Haar erinnert er mich an einen unserer Nachbarn. Den Nachbarn, der uns Kindern jedes Mal wenn wir spielen zu verstehen gibt, wir seien zu laut, zu ungezogen, und sowieso zu doof.

Der knurrige Mann

Mit miesepetriger Miene und knarziger Stimme grummelt er uns diese Worte mitten hinein in unser Spiel.
Cowboy und Indianer, Polizist und Einbrecher, Mama, Papa, Kind spielen wir. So viel Auswahl an Spielen gibt es nicht für uns in dieser Zeit.
Aber wir spielen immer draußen oder im Hausflur. Selbst in diesem einen Winter, wo draußen der Schnee höher liegt, als wir mit unseren 7 Jahren gewachsen sind. Hineinfallen lassen, der Schnee dämpft das Gemecker!
Doch so oft dringt seine Stimme trotzdem noch durch den Schnee.

Der alte Mann

Nun steht er also da, dieser Mann mit Bart, mit roter Mütze und mit einem Sack. Voller Geschenke, wie ich hoffe. Ich bin ein Schüler. Seit Neuestem erst, aber immerhin bin ich nun in eine Welt geworfen, die voller naseweisser Eingriffe in meine wohlbehütete Kindheit ist. Immer ist da einer in der Schule der etwas – oder gleich Alles – besser weiß.
Und unter Anderem leider auch, dass es Beweise dafür gibt, dass es ihn hier – den Weihnachtsmann – gar nicht gibt! Oder vielmehr: Es gibt keine Beweise DASS es ihn gibt. Womit bewiesen wäre, dass es ihn nicht gibt. Ach, alles total kompliziert, und ich bin, bedrängt auf dem Pausenhof, auch nicht gewillt solchen Aussagen zu glauben.

Nur, dummerweise ist jetzt der Zweifel in meinem Kopf. Ob möglicherweise doch der Junge recht hatte. In der Regel hatte er nicht recht. Einfach ein doofer Junge, dem will ich gar nicht glauben.
Aber er nagt.
Nicht der Junge.
Der Zweifel.

Die rote Mütze

Als ich nach Hause komme, am Tag nach dieser Offenbarung des doofen Johannes, da stolpere ich fast über unsere Weihnachtstanne. Es wird bei uns ein großes Brimborium ums Schmücken gemacht. Erst am Heiligabend, und nur die Mutter schmückt die Tanne mit Lametta. Wir dürfen erst kurz vor dem Kirchgang noch die süßen Leckereien dranhängen.

Auf einem Schrank im Flur sehe ich eine rote Mütze mit schmutziger Bommel. Die Mütze werde ich am Abend wiedersehen. Sie sitzt auf dem Kopf dieses Weihnachtsmannes. Ich erkenne es daran, dass an der Bommel zahlreiche graue Flecken sind.
Da sind sie wieder, die Zweifel. Nagend, fragend, und langsam die Oberhand gewinnend.

Wie in all den Jahren vorher setzt sich auch dieses Mal der Weihnachtsmann auf einen Schemel in unserem Wohnzimmer. Fordernd klopft er auf seinen Oberschenkel und schaut ein Kind nach dem Anderen an. Und bittet es auf seinen Schoß. Mein Bruder macht den Anfang.

Er hopst lachend auf den Oberschenkel und fast scheint es mir, als biegt sich der Kopf des Weihnachtsmanns vor Schmerz nach hinten. Mein Bruder ist 5 Jahre älter und – wie ich finde – schon groß wie ein Erwachsener. Er muss schwer sein wie das Moped mit dem er angeberisch jeden Tag im Dorf auf und ab fährt.
Das Standardverhör beginnt. Ob er denn brav gewesen sei. Rute oder Geschenk?

Der Weihnachtsmann

Zum Glück kann mein blöder Bruder den Weihnachtsmann davon überzeugen, er sei das ganze Jahr über brav gewesen. (Lieber Weihnachtsmann: Was ist denn bitte mit den geklauten Süßigkeiten? Mit den ganzen Frechheiten, die er sich mir gegenüber erlaubt hat? Zählt das nicht? Zählt das nicht, weil ich nur ein doofes kleines Kind bin? Das ist ungerecht! Der hat niiiiiiemals ein Geschenk verdient. Die Rute soll er haben! Jawohl, die Rute!)

Es wird ein Geschenk, und ich weiß, dass es ganau das ist, was er sich das ganze Jahr über gewünscht hat. Eine ungerechte Welt. Später werde ich meiner Schwester gegenüber auch immer total böse sein. Hat ja eh keine Konsequenzen!

Sie ist die Nächste, und ihre Augen strahlen als sie auf den Weihnachtsmann zuläuft. Sie knufft seinen Bauch, zauselt in seinem Bart und riecht an seinem Hals. Der Weihnachtsmann lacht, und streicht ihr über den Kopf.

Auch hier wieder die Standardfragen. Aber meine Schwester prescht mit einem Gedicht dazwischen. Das hat sie wochenlang auswendig gelernt, und nun verhaspelt sie sich, so aufgeregt ist sie. Aber trotzdem applaudieren am Ende alle, und ihr Geschenk ist ganz besonders groß.

Nun ist es an mir den Weg zum Weihnachtsmann zu gehen.

Kurz nochmal überlegt, ob ich ihm diese eine Sache gestehe, wo ich – naja – doch nicht so brav war wie es für Geschenke sicherlich vorgesehen ist.
Aber ich spiele auf Risiko. Der Weihnachtsmann weiß Alles? Wir werden sehen!

Ich hätte gedacht, daß sein Oberschenkel nicht so knochig ist. Aber fast tut es weh dort zu sitzen. Vielleicht ist es auch nur die Angst. Tausend Gedanken springen mir durch den Kopf, als ich dem Weihnachtsmann direkt in die Augen schaue.

Er beugt sich zu mir herunter, und öffnet seinen Mund, um mit seinem Verhör zu beginnen.

Der nette Mann

Als er spricht, und ich seine Stimme von so Nahem höre, da weiß ich es: Der Junge in der Schule, der doofe Johannes, er hat nicht gelogen, er kennt die Wahrheit.
Es gibt ihn nicht!
Er ist eine Lüge!
Es ist nicht der Weihnachtsmann, der mir hier die Fragen stellt. Es ist der knurrige Nachbar, unser Spielverderber das gesamte Jahr über.

Diesen einen Tag im Jahr hat er seit ich denken kann, dafür genutzt uns ein Geschenk zu machen. An den Weihnachtsmann zu glauben, ihn zu Besuch zu haben, und beschenkt zu werden.

Ich bin 7 Jahre alt und kenne nun die schreckliche Wahrheit. Aber ich weiß nun auch, daß mein knurriger Nachbar nicht ganz so knurrig ist wie es scheint.

Ich mag den Glauben an den Weihnachtsmann verloren haben. Den Glauben an das Gute im Menschen habe ich gewonnen.

Frohes Fest euch Allen!

Zum Anhören:

Vom Glauben an den Weihnachtsmann - vorgelesen

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